Als Ständige Kulturvertretung Erfurt (SKV) vertreten wir die Belange der freien (sozio-) kulturellen Szene der Stadt Erfurt. Wir wenden uns deshalb an die Verwaltung der Stadt Erfurt, die Stadträt:innen der demokratischen Fraktionen, die Kulturdirektion und Oberbürgermeister Andreas Horn, weil wir derzeit immer wieder von Kulturschaffenden auf Missstände in der Verwaltung angesprochen werden, die wir auch erkennen.
Die Anzahl der Ansprechpartner:innen in der Verwaltung nimmt zunehmend ab, während der Aufgabenumfang deutlich gestiegen zu sein scheint. Wir betrachten es als äußerst problematisch, dass die digitalen Strukturen der Stadtverwaltung noch immer in einem unzeitgemäßen Zustand verharren. Zudem sehen wir mit Sorge, dass die Arbeitsbereitschaft zweier zentraler Akteur:innen der Kulturdirektion, die insbesondere für die freie Szene von großer Bedeutung sind, durch die hohe Arbeitsbelastung nachhaltig beeinträchtigt werden könnte. Ein möglicher Rückzug dieser Schlüsselpersonen würde einen erheblichen Verlust an Expertise und Kompetenz sowie einen deutlichen Rückschritt für die kulturelle Landschaft bedeuten. Konkret betrifft dies Sebastian Rätsch, verantwortlich für die Kulturförderung, und Theresa Kroemer, die Kulturlotsin.
„Kaum dafür ausreichenden Personalschlüssel“
Es ist ein kleiner Nebensatz, der einiges aussagt. In einer Mail, die wir von kulturfoerderung@erfurt.de (die E-Mail von Sebastian Rätsch) im Rahmen einer Anfrage erhalten haben, schockierten uns folgende Worte: ”Ein Hinweis: Wir fördern in diesem Jahr eine sehr hohe Anzahl an Projekten mit einem kaum dafür ausreichenden Personalschlüssel. Längere Bearbeitungszeiten lassen sich dadurch leider nicht verhindern.”
Hinzu kommt, dass wir und andere Erfurter Kulturakteur:innen erstaunt über eine neuerliche automatische Antwortmail der Kulturlotsin sind. Die Stelle der Kulturlotsin war eine Errungenschaft für die Erfurter Kulturszene. Mit dieser Stelle hatten wir als Kulturszene endlich eine Beraterin und Ansprechpartnerin in der Stadtverwaltung, die uns verstand und eine Brücke baute.
„Keine weiteren Beratungsanfragen“
Und nun müssen wir folgendes in der E-Mail lesen: “Liebe Kulturschaffende, vielen Dank für die Nachricht. Um den Bereich der Kulturförderverwaltung personell zu unterstützen, kann ich meine Tätigkeit als Kulturlotsin leider auf unbestimmte Zeit nicht mehr ausüben. Bis zum Wechsel ab Anfang Dezember benötige ich die restliche Zeit, um laufende Anfragen zu beantworten, Aufgaben zu erledigen und Prozesse abzuwickeln. Wer dazu mit mir im Austausch steht, erreicht mich weiterhin.
Ich kann bereits jetzt keine weiteren Beratungsanfragen zu Themen wie Drittmittelakquise, Raumsuche, Vernetzung, Genehmigungsprozesse oder Öffentlichkeitsarbeit o. Ä. bearbeiten. Leider ist es auch nicht möglich, Ihre/ deine Nachricht an eine andere Stelle weiterzuleiten. Bitte haben Sie/ habt Verständnis dafür, dass ich auf unbestimmte Zeit nicht zur Verfügung stehen kann. Vielen Dank.”
Zwei neue Stellen in der Kulturförderung?
Dieser Rückzug aus der Beratungsfunktion stellt die Kulturszene vor erhebliche Herausforderungen. Auch die unbesetzte Stelle von Sarah Hertam, der ehemaligen Sachgebietsleiterin für Soziokultur und Kulturelle Bildung, verschärft die Situation. Diese Position war ebenfalls zentral für die Kulturförderung, da sie strukturelle Aufgaben wahrnahm und wichtige Unterstützung leistete.
Im Gespräch mit Kulturdirektor Christian Horn wurde uns mitgeteilt, dass neue Stellen geschaffen werden sollen, um die Kulturverwaltung zu entlasten. Diesen Schritt begrüßen wir grundsätzlich. Doch angesichts des steigenden Arbeitsvolumens und neuer Arbeitsbereiche erscheinen uns zwei Stellen – von denen eine die bereits bestehende, aber unbesetzte Stelle ehem. Sarah Hertam ist – als nicht ausreichend, um die wachsenden Anforderungen zu bewältigen.
Bis auf Weiteres keine Kulturlotsin
Als Vertretungsstruktur der freien Szene der Stadt Erfurt müssen wir eindringlich darauf hinweisen, dass der Fokus weiterhin auf der Stelle der Kulturlotsin liegen muss, die für die freie Szene in Erfurt von unschätzbarem Wert ist. Sie berät, ist Ansprechpartnerin, vermittelt und trägt dazu bei, Kultur neu zu denken. Laut der automatischen Antwortmail von Theresa Kroemer ist diese Stelle jedoch bis auf Weiteres nicht verfügbar, was eine erhebliche Lücke hinterlässt.
Die Kulturlotsin verwaltet unter anderem auch die freie Veranstaltungsfläche, deren Nutzung angesichts des steigenden Pensums leider weitgehend brach liegt. Mails von ehrenamtlichen Vereinen und Initiativen können nicht adäquat beantwortet werden, und die Akteur:innen müssen mit wochenlangen Wartezeiten rechnen, während wichtige Förderfristen verstreichen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass das Pensum der Kulturlotsin mit dem Anstieg der Fördermittel wächst. Neue Kulturvereine und Initiativen entstehen, die selbstverständlich Beratungsbedarf mit sich bringen. Darüber hinaus spielt die Kulturlotsin eine zentrale Rolle bei der Bearbeitung gesellschaftlicher Themen wie Awareness, Teilhabe, Inklusion und Nachtkultur – Themen, die in der sich wandelnden Kulturszene immer wichtiger werden.
Es ist entscheidend, dass die Verwaltung und die Politik diese Veränderungen anerkennen und in ihrer Personalplanung berücksichtigen. Wir fordern deshalb klare Unterstützung und die Sicherstellung der Stelle der Kulturlotsin, damit diese ihre wertvolle Arbeit weiterhin in vollem Umfang leisten kann.
Mehr Kulturförderung ist richtig und wichtig!
Als SKV setzen wir uns seit Langem dafür ein, die Kulturprojektförderung auszubauen und strukturell neu zu gestalten. Gleichzeitig begrüßen wir das Engagement vieler Erfurter Akteur:innen, die durch ihre Förderanträge dazu beitragen, die Stadt kulturell vielfältiger und lebenswerter zu machen.
Für das Jahr 2025 stehen 475.000 Euro für die allgemeine Kulturförderung zur Verfügung. Hinzu kommen 300.000 Euro, die im Rahmen des Erfurter Kultursommers beantragt werden können – insgesamt also 775.000 Euro. Das ist eine positive Entwicklung und angesichts der Inflation dringend notwendig. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 beliefen sich die Fördermittel für diese beiden Bereiche (Kultursommer und Breitenförderung) auf 627.500 Euro. Dennoch lag der Bedarf bei über 1,5 Millionen Euro, verteilt auf 224 Anträge, von denen viele gekürzt oder gar nicht gefördert werden konnten.
Diese 224 Anträge müssen allesamt von der Kulturförderung bearbeitet werden: Sie werden manuell in Tabellen eingetragen, geprüft, bewertet, bearbeitet und kontrolliert. Der Arbeitsaufwand ist enorm und steigt weiterhin deutlich an. Besonders betroffen ist dabei Sebastian Rätsch, dessen Stelle in der Kulturförderung noch vor zehn Jahren ein wesentlich geringeres Arbeitsaufkommen zu bewältigen hatte. Angesichts der Rekordsumme von über einer Milliarde Euro im Erfurter Haushalt 2025 erscheint es umso wichtiger, auch die personellen Kapazitäten der Kulturförderung den gestiegenen Anforderungen anzupassen.
Diese Entwicklung kam nicht unerwartet. Es ist absehbar, dass der verwalterische Arbeitsaufwand steigt, wenn auch das Fördervolumen zunimmt. Umso dringlicher stellt sich die Frage: Warum wurden die damit verbundenen Anforderungen nicht frühzeitig berücksichtigt und personelle Ressourcen rechtzeitig aufgestockt?
Digitalisierung der Prozesse in der Kulturförderung
Ebenso kritisch ist der mangelnde Fortschritt bei der Digitalisierung der Prozesse. Soweit uns bekannt, werden Förderanträge immer noch manuell bearbeitet und in Tabellen eingetragen – eine Arbeitsweise, die eher ins Jahr 2005 als ins Jahr 2025 passt. Dabei könnten digitale Lösungen, insbesondere unter Nutzung moderner KI-Technologien, erhebliche Entlastung schaffen. Automatisierte Prozesse würden nicht nur Arbeitszeit einsparen, sondern auch die Verwaltung effizienter und transparenter gestalten.
Hier besteht unserer Ansicht nach dringender Handlungsbedarf, um die Kulturförderung zukunftsfähig zu machen und die steigenden Anforderungen effektiv zu bewältigen. Es darf nicht länger bei veralteten Methoden bleiben – es muss gehandelt werden!
Neues umfangreiches Projekt im Bereich Kulturförderung
Seit ein paar Tagen ist die Stelle, die ehemals Sarah Hertam innehatte, endlich ausgeschrieben – mit einem neuen Stellenprofil. Gesucht wird eine Sachgebietsleitung „Kulturelle Förderung und Partizipation“, die jedoch nicht nur wichtige strukturelle und administrative Aufgaben übernehmen muss. Neu hinzu kommt das Projekt „Pop-up-Museum“, das nun ebenfalls in ihren Aufgabenbereich fällt. Ein so anspruchsvolles Projekt wie ein ganzes Museum lässt sich keinesfalls nebenbei organisieren, kuratieren und konzipieren. Angesichts des Umfangs und der Komplexität dieses Vorhabens wäre es nur logisch, hierfür eine eigene Stelle zu schaffen.
Die Arbeitslast im für uns und die freie Szene so wichtigen Verwaltungsbereich „Kulturelle Förderung und Partizipation“ wächst stetig. Die personellen Ressourcen hingegen werden nur unzureichend angepasst. Zudem ist es auffällig, dass digitale Hilfsmittel in diesem Bereich bisher kaum zeitgemäß angepasst wurden.
Fünf Forderungen an Stadträt:innen, Verwaltung und OB
Aufgrund all dieser Umstände fordern wir als die sofortige Anpassung und Erweiterung der personellen Ressourcen in der Kulturverwaltung, um die freie Szene in Erfurt auch weiterhin nachhaltig und effektiv zu unterstützen. Die aus unserer Sicht dringendste Maßnahme stellt die Schaffung einer zweiten Kulturlots:innen-Stelle dar.
Zudem fordern wir mindestens 3,5 Verwaltungsstellen für die Kulturförderung (laut Kulturdirektor sind derzeit lediglich 2,5 Stellen geplant). Dies betrifft nicht nur die personellen Ressourcen, die zeitnah zur Verfügung gestellt werden müssen, um die enorme Arbeitslast zu bewältigen. Es ist ebenso notwendig, den Arbeitsaufwand, der benötigt wird, um ein gefördertes Projekt adäquat zu betreuen und zu fördern, realistisch zu berechnen. Ein solcher Schlüssel könnte dazu beitragen, den Personalbedarf transparenter zu planen.
Des Weiteren fordern wir, dass das Projekt „Pop-up-Museum“ auf dem Erfurter Petersberg eine eigene Stelle erhält, um es angemessen betreuen zu können. Es ist nicht zielführend, die Sachgebietsleitung, die ohnehin bereits eine enorme Arbeitslast trägt, zusätzlich mit dieser Verantwortung zu belasten. Weitere Aufgaben auf dem Tisch zu haben, würde die neu ausgeschriebene Stelle in den kommenden Monaten in einen gefährlichen Zustand der Überlastung manövrieren.
Wir fordern außerdem ein umfassendes Digitalkonzept für die Kulturverwaltung und die Verwaltung im Allgemeinen. Notwendige strukturelle Weiterentwicklungen müssen JETZT vorangetrieben werden! Ein weiteres Aufschieben wäre fatal.
Und um unserem Anliegen treu zu bleiben: Wir fordern mehr Förderinstrumente und eine Erhöhung des Fördertopfes. Bei einem Haushalt von über einer Milliarde Euro erscheint uns diese Forderung nicht überzogen.
Denn die freie (sozio)kulturelle Szene ist essentiell für das Leben in Erfurt. Sie bietet einen niedrigschwelligen Zugang zu Bildung, Kunst und Kultur, der allen offensteht, fördert den demokratischen Austausch, schafft Räume für Begegnungen und Diskussionen und stärkt die gesellschaftliche Teilhabe. Sie trägt zur Vielfalt bei, macht unterschiedliche Perspektiven und Stimmen sichtbar und schafft kreative Freiräume, die die kulturelle und soziale Entwicklung der Stadt bereichern. All dies steht auf dem Spiel, wenn nicht umgehend gehandelt wird!