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Stellungnahme zur Vergabe des Projektes der Erfurter Nachteulen                                                                         

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Gemeinsame Stellungnahme zur Vergabe des Projektes der Erfurter Nachteulen von der Ständigen Kulturvertretung Erfurt (SKV), der Freien Kulturkarawane (FKK), und dem Erfurter Netzwerkes für kulturelles Leben (ENkL) sowie weiteren (sozio-)kulturellen Akteur:innen der Landeshauptstadt Erfurt.

Im Herbst 2023 wurde durch das Dezernat für Sicherheit, Umwelt und Sport eine Konzeption zur Beruhigung der Erfurter Parkanlagen und Förderung der gegenseitigen Rücksichtnahme ausgeschrieben. Anschließend wurde mit Beschluss des Stadtrates vom 15. November 2023 dem Safer-Space-Konzept für städtische Großveranstaltungen zugestimmt (Drucksache 2204/23). Letztlich wurde mit der Drucksache 0625/24 die Konzeption zur Beruhigung der Erfurter Parkanlagen und Förderung gegenseitiger Rücksichtnahme am 15. Mai 2024 durch den Erfurter Stadtrat mit 35 Ja-Stimmen, 5 Nein-Stimmen und einer Enthaltung beschlossen (Niederschrift der Sitzung des Stadtrates am 15. Mai 2024).

Mit großer Besorgnis nehmen wir nun zur Kenntnis, dass die Stadt Erfurt die Leistung “Erfurter Nachteulen – Dienstleistung zur Beruhigung der Erfurter Parkanlagen und Förderung gegenseitiger Rücksichtnahme” für den Leistungszeitraum 1. Februar 2025 – 31. Dezember 2025 (Geschäftszeichen ÖAL1011/24-03) an einen Sicherheitsdienstleister vergeben will. Unsere Bedenken möchten wir im Folgenden darstellen.

1. Kritik an der Ausschreibung mit dem Geschäftszeichen ÖAL1011/24-03 im Allgemeinen

Die Vergabe für die Erfurter Nachteulen erfolgte erstmals von September bis Dezember 2024. Im Vergabeverfahren setzte sich die Firma Feuer & Flamme durch (Drucksache 2448/24). Ziel dieser begrenzten Ausschreibung war es, erste Erfahrungen zu sammeln und diese in die Ausschreibung für das Jahr 2025 einfließen zu lassen (Drucksache 1564/24). Das ist für uns nicht sichtbar.

Im Gegenteil. Nach unserer Auffassung widerspricht die Ausschreibung in wesentlichen Punkten der demokratische legitimierten “Konzeption zur Beruhigung der Erfurter Parkanlagen und Förderung gegenseitiger Rücksichtnahme”. Hier wird dargestellt, dass die Nachteulen Menschen in vulnerablen Situationen zur Seite stehen, ohne dass sie Angst vor negativen Konsequenzen haben müssen. Die Teams arbeiten präventiv, sensibel und parteilich für Betroffene. Nachteulen sollen als niedrigschwellige, unterstützende und deeskalierende Instanz für Betroffene von Diskriminierung, Belästigung und Gewalt fungieren. Demgegenüber stehen beispielsweise die Leistungen einer Security-Firma. Sie verfolgt in erster Linie ordnungspolitische und sicherheitsrelevante Ziele, die oft mit Durchsetzung, Kontrolle und ggf. Repression verbunden sind.  

Allein die Vergabe für Sicherheitsdienstleister zu öffnen, stellt unserer Ansicht nach einen Widerspruch zur Konzeption dar, die danach verlangt, dass “geeignete Träger in das engere Auswahlverfahren kommen.” (S. 43). Das Konzept schließt die Bewerbung eines Sicherheitsdienstleisters aus und stellt klar: 

“Man muss davon ausgehen, dass Menschen aus der Sicherheitsbranche ein anderes und dominanteres Auftreten und eine andere Ansprache an die Nutzerinnen und Nutzer zeigen werden, als Personen aus den sozialen Bereichen.”

Daneben verlangt das 103 Seiten starke Konzept “darauf zu achten, dass alle […] gestellten Kriterien erfüllt sind” (ebd., S.43), was in der Ausschreibung in lediglich neun Leistungsmerkmale (Muss-Kriterien) übersetzt wurde. Wir haben daher eine Auswahl zusammengestellt, welche Inhalte des Konzeptes keine oder eine unzureichende Würdigung in der Ausschreibung gefunden haben:  

  • Das Konzept verlangt in der Besetzung “paritätische, multilinguale und diverse Dreierteams” (ebd., S. 23).
    • Die Ausschreibung beschränkt sich auf die paritätische Besetzung und bedient damit lediglich ein Diversitätsmerkmal (Leistungsbeschreibung, S.7). 
    • Die Leistungsbeschreibung zur Ausschreibung verlangt lediglich zweier Teams und widerspricht damit dem Konzept (eb. S. 4).
  • Das Konzept sieht einen Projektzeitraum von zwei Jahren vor, ausgeschrieben wurden lediglich 13 Monate (ebd., S. 1, S. 3).
  • Weiterhin geht das Konzept auf Seite 45 darauf ein, dass eine Begleitung von Studierenden während ihrer Bachelor- und Masterarbeit angedacht ist und verlangt nach einer fachlichen Qualifikation im Bereich der sozialen Arbeit. Dies wird in der Ausschreibung nicht ausreichend gewürdigt, verlangt diese doch lediglich in einer sehr weichen Formulierung, dass Fachkräfte aus der sozialen Arbeit in das Team integriert werden sollen (kein Muss-Kriterium; Leistungsbeschreibung², S. 6).
  • Das Konzept verlangt auch die Motivation und Intention des Leistungsträgers ein wichtiges Augenmerk zu legen: “Bewerbende Träger sollen ausreichend ihre Motivation für die Bewerbung auf die Ausschreibung formulieren und verständlich ihre Intentionen formulieren” (S. 98). Auch das wird in der Ausschreibung nicht gewürdigt. 
  • Die Ansprache von Nutzerinnen und Nutzern wird in der Ausschreibung als Kontrollen bezeichnet und die aufsuchende, präventive Arbeit der Nachteulen als Kontrollintensität (Leistungsbeschreibung², S. 2 und 7). Diese Begrifflichkeit steht für uns im Wiederspruch und antonym zu dem, was Awareness laut Konzept ausmacht. 

Darüber hinaus wurden die Erfahrungen der bisherigen Projektlaufzeit nicht für die Ausschreibung beachtet, was einen Widerspruch zur Drucksache 1564/24 darstellt. So heißt es in der Stellungnahme der Stadtverwaltung Erfurt zur Drucksache 2014/24 beispielsweise, dass der Probelauf mit “zwei Teams von jeweils drei Mitarbeitern” im ersten Resümee sehr positiv sei: “Die Erfurter Nachteulen haben viele Aufklärungsgespräche geführt, um einerseits die Bekanntheit des Projektes zu fördern aber auch um die Akzeptanz für die Awareness-Arbeit in der Bevölkerung zu erhöhen. Es zeigte sich schnell, dass […] insbesondere die jüngere Generation die Anwesenheit und Arbeit der Nachteulen sehr wertschätzt.” (Drucksache 2014/24) 

Dennoch wurden in der Leistungsbeschreibung zur Ausschreibung z. B. lediglich zweier Teams verlangt und “(junge) Menschen” finden sich nur insofern wider, als dass sie zum Thema Drogenkonsum aufgeklärt werden sollen (Leistungsbeschreibung², S. 2 ff.). Das Vergabeverfahren für 2025 wurde am 27.November 2024 veröffentlicht (Drucksache 2448/24). Hier gab es die Möglichkeit, sich bis zum 17. Dezember 2024 zu bewerben. In Summe sehen wir durch die Art und Weise der Ausschreibung die demokratisch legitimierte “Konzeption zur Beruhigung der Erfurter Parkanlagen und Förderung gegenseitiger Rücksichtnahme” verletzt.

2. Interessen- und Rollenkonflikt mit anderen Aufträgen der Stadtverwaltung im Speziellen

Der Einsatz der Nachteulen verfolgt grundsätzlich zwei Zielrichtungen: erstens zu einer Beruhigung der Erfurter Parkanlagen beizutragen und zweitens das Safer-Space-Konzept sicherzustellen. Daher werden die Teams in den Parkanlagen, sowie auf den städtischen Großveranstaltungen (Karneval, Altstadtfrühling, Krämerbrückenfest, Weinfest, Oktoberfest, Weihnachtsmarkt) an ausgewählten Tagen eingesetzt (Drucksache 2448/24). Guardian Force Security GmbH ist primär als Security-Dienstleister bekannt und verantwortet bereits die Sicherheitskonzepte vieler (oder aller) der in der Drucksache 2448/24 genannten städtischen Großveranstaltungen. Daneben kommt das Unternehmen bei Sondermärkten zum Einsatz und war als City-Streife 2021 bis 2023 im Dienst, um abends und nachts gegen Vermüllung, Ruhestörung und Vandalismus anzugehen. 

Wir halten es für realistisch, dass das Unternehmen die Tätigkeit in dem Projekt “City-Streife” 2025 fortsetzen wird und die Ausschreibung hierzu gewinnt. Wir begrüßen das Engagement der Stadt Erfurt für die Sicherheit seiner Bürger:innen, möchten jedoch unsere Verwunderung darüber ausdrücken, dass ein erneuter Auftrag der Stadtverwaltung Erfurt an ein Unternehmen vergeben wird, das bereits viele Aufträge der Stadt auf sich vereint und als Sicherheitsdienstleister der Stadt in Erscheinung tritt. 

Diese Firma soll nun auch für die Awareness-Arbeit der Erfurter Nachteulen zuständig werden – eine Konstellation, die mindestens grundlegende Fragen zur Unabhängigkeit und Wirksamkeit eines solchen Teams aufwirft – wenn nicht sogar einen strukturellen Widerspruch darstellt.

Wenn die Guardian Force Security GmbH beide Rollen – Awareness und Sicherheit – übernimmt, fehlt ein wichtiges Korrektiv. Anstatt einer unabhängigen Anlaufstelle für Betroffene gibt es eine Vermischung von Aufgaben und Interessen. Ein Awareness-Team wie die Erfurter Nachteulen muss Vertrauensarbeit leisten – doch wie kann Vertrauen entstehen, wenn das gleiche Unternehmen für die Durchsetzung von Hausrechten, Platzverweisen oder polizeilichen Maßnahmen zuständig ist? Wir stellen in Frage, ob die Mitarbeitenden, die gleichzeitig sicherheitsrelevante Ziele verfolgen, “auf Augenhöhe mit den Nutzerinnen & Nutzern der Erfurter Parkanlagen ins Gespräch kommen” können, wie es die Konzeption fordert. Dieser klare Interessen- und Rollenkonflikt wird in keiner Weise gewürdigt.

3. Offene Fragen zur Eignung von Guardian Force Security GmbH

In der kulturellen Szene in Thüringen haben wir Guardian Force Security GmbH bisher ausschließlich als Security-Dienstleister:in wahrgenommen, zum Beispiel beim “SonneMondSterne”-Festival. Hier wirbt das Unternehmen sogar mit einem Zitat des Veranstalters auf ihrer Webseite, der ausdrücklich für die langjährige Partnerschaft bedankt und die professionelle Herangehensweise, insbesondere bei der Erstellung der Sicherheitskonzepte würdigt. 

Doch nicht nur auf Grund unserer eigenen Erfahrungswerte, sondern auch nach intensiver Recherche konnten wir leider keine Ergebnisse auftun, die die Expertise von Guardian Force Security GmbH für den sensiblen Bereich Awareness untermauern. Ihrer Eintragung im Handelsregister ist nicht zu entnehmen, dass sie bereits in diesem oder verwandten/ benachbarten Aufgabenbereichen aktiv waren (Mediation, Konfliktmanagement, Deeskalation, Diversitätsarbeit, Antidiskriminierungsarbeit oder ähnlichem). Selbst auf ihrer eigenen Webseite finden sich keine Hinweise auf eine Tätigkeit im Bereich Awareness (Stand: 13.02.2024).

In der Vergangenheit wurde immer wieder betont, dass die Auswahlkriterien und das Bewerbungsverfahren für Mitarbeitende der Nachteulen ausschließlich in Hoheit des Dienstleisters liegen (Drucksache 2448/24) und es aus Sicht der Verwaltung dem Auftragnehmer obliegt “dafür Sorge zu tragen geschultes Personal vorzuhalten und auch nur dieses Personal einzusetzen” (Stellungnahme der Stadtverwaltung Erfurt zur Drucksache 2014/24). Gleichzeitig werden die Erfurter Nachteulen gemäß dem „Konzept zur Beruhigung der Erfurter Parkanlagen und Förderung gegenseitiger Rücksichtnahme“ eingesetzt (Drucksache 2448/24).

Wir schätzen den Mut des Unternehmens Guardian Force Security GmbH, sich dem Thema Awareness anzunehmen und begrüßen es ausdrücklich, dass hier auch in konservativen sicherheitsrelevanten Bereichen scheinbar ein Umdenken stattfindet. Wir sorgen uns jedoch darum, ob ein in dem Bereich augenscheinlich recht neu aufgestelltes Unternehmen den Anforderungen, des Projektes “Erfurter Nachteulen”, dem zugrundeliegenden Konzept und den Erwartungen, die der eingangs erwähnte langwierige, aber ergebnisreiche Prozess mindestens bei uns geweckt hat, gerecht werden kann.

4. Fehlende Nachhaltigkeit und mangelnde Transparenz

Bereits im vergangenen Jahr gab es ein Awareness-Team, das sich bewährt hat und nun den Zuschlag nach heutigem Stand nicht erhalten wird. Dies wirft Fragen nach der Nachhaltigkeit der Arbeit auf. Die Erfahrung aus anderen Städten bzw. Projekten zeigt, dass sich erfolgreiche Awareness-Konzepte durch kontinuierliche Arbeit und den Aufbau von Expertise entwickeln – nicht durch kurzfristige, wirtschaftlich motivierte Vergaben an Akteure, die primär andere Schwerpunkte setzen.

Wir kritisieren daher generell, dass die vorangegangenen Vergaben keinen längeren Leistungszeitraum umfassten. Zudem kritisieren wir die Definition von Wirtschaftlichkeit, die der Vergabe zugrunde gelegt wurde – wirtschaftlich sollte nicht lediglich das “günstigste” bedeuten. 

Zudem stellen wir in Frage, dass die gewonnenen Kooperationspartner:innen ihre Zusage zur Unterstützung des Projektes bei Vergabe an ein Sicherheitsunternehmen aufrechterhalten. Demnach sehen wir bei der aktuellen Sachlage das komplette Projekt und die Arbeit der letzten zwei Jahre in Gefahr.

Daher lauten unsere Forderungen:

  1. Wir fordern die Mitglieder des Stadtrates auf ihre Überwachungsbefugnis zur Ausführung seiner Beschlüsse nach § 22 Abs. 3 ThürKO nachzukommen. 
  2. Wir fordern die Stadt Erfurt auf, die Vergabeentscheidung kritisch zu hinterfragen und eine Lösung zu finden, die der sensiblen Aufgabe eines Awareness-Teams gerecht wird. Eine unabhängige, transparente und nachhaltige Awareness-Struktur ist unverzichtbar, um Menschen auf Stadtfesten und in anderen öffentlichen Räumen wirklich zu schützen – und nicht nur zu kontrollieren.
  3. Wir fordern die Stadt Erfurt auf, Belege vorzulegen, welche Referenzen ein Sicherheitsdienstleister im Allgemeinen und Guardian Force Security GmbHg im Speziellen zur Awareness-Arbeit qualifizieren. Wie kann diese Vergabe in Einklang mit der Konzeption stehen?
  4. Den Oberbürgermeister als Spitze der Stadtverwaltung fordern wir auf zu überprüfen, inwiefern ein Interessenkonflikt besteht, wenn die Stadt Erfurt an ein und dieselbe Firma diverse Sicherheits- und Überwachungsdienstleistungen vergibt, als auch das Projekt Erfurter Nachteulen. Denn die Frage: “Ist es möglich, dass der Sicherheitsdienstleister einer Stadt gleichzeitig Awareness-Arbeit leistet?” beantworten wir nach unserer Recherche eindeutig mit “Nein.” 
  5. Wir fordern Belege von der Stadt Erfurt, welche Referenzen ein Sicherheitsdienstleister im Allgemeinen und Guardian Force Security GmbHg im Speziellen zur Awareness-Arbeit gemäß dem demokratisch legitimierten Konzept qualifiziert.
  6. Wir fordern die Stadt Erfurt auf, ihrer Verantwortung gerecht gegenüber den zivilgesellschaftlichen Akteur:innen und Bürger:innen zu werden, die das Projekt bis hierher durch ihr Engagement in den Beteiligungsprozessen und durch Kooperation getragen haben. Sorgen Sie dafür, dass die Arbeit der letzten zwei Jahre nicht umsonst war! Sorgen Sie dafür, dass unsere Vorreiterrolle im Bereich Awareness im mitteldeutschen Raum nicht mit einer undurchdachten Vergabe endet!

Unterzeichnende der Stellungnahme:

SKV, EnkL, FKK, Klanggerüst, Ilvers, AJZ Erfurt, Traumraum, Retronom, Culture Goes Europe (CGE), Kleine Rampe, Natur Erlebnisgarten Fuchsfarm, Clärchen, Migranetz, POENIX e. V., veto, Plattform e.V., BÄMM!, Stadtjugendring Erfurt e.V., Kunsthaus Erfurt, Frau Korte, Projektcontroller – Projekt MIRA Plus, Thüringer Antidiskriminierungsnetzwerk thadine, Feministisches Club Kollektiv Erfurt, Mit Medien e.V. , Auf die Plätze-Bündnis, Naturfreundejugend Erfurt, Contineo Buchhandlung, Jazzclub Erfurt, Radeln gegen Rechts, Build-Share-Repair e.V., proForma e.V., BUNDjugend Thüringen. Hanfverband Thüringen, Falken Erfurt, nochson e.V., Kartenhaus Kollektiv, Hilge e.V., Jugendhaus Wiesenhügel. Sowie Einzelpersonen wie Nora Klein, Peter Runkewitz, Katharina Häfner, Susanne Horn, Ludwig Kiessler

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